Antwort: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Berlin)

1. Derzeit werden sehr verschiedene Phänomenlagen unter Trans* zusammengefasst. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass alle qualitativ unterschiedliche Betroffenheiten das Gleiche wären, und es kommt zu Fehldeutungen der Bedarfe, Eigenschaften und Bedürfnisse. Menschen mit originärer Transsexualität - Neuro-Genitales-Syndrom (NGS), sehen sich hierdurch zusehends falsch beschrieben. Wie steht Ihre Partei zu dieser Gleichmacherei und somit zur Verleugnung der Vielfalt?

    Auch wir benutzen den Begriff „Trans*“, um ver-schiedene Gruppen wie Transsexuelle, Transgender, Transident mit einem Wort zu beschreiben. Da sich einige Menschen von dem Begriff „transsexuell“ gestört fühlen, haben wir uns nach Rücksprache mit vielen betroffenen Menschen für eine möglichst inklusive Nomenklatur entschieden. Dabei ist unsere Intention keineswegs Gleichmacherei oder Verleumdung der Vielfalt. Ganz im Gegensatz bezwecken wir mit der Verwendung des Begriffs „Trans“ mit dem Sternchen die Heterogenität der Gruppe zu betonen.

2. Sowohl die Voraussetzungen für die rechtlichen Maßnahmen, als auch für die Bewilligung der somatischen Behandlungen, sind derzeit Prozesse voller Willkür. Je nachdem, an welchen Sachbearbeiter, Gutachter oder an welches Gericht jemand gerät, sind die Schwierigkeiten, Wartezeiten und Kosten sehr unterschiedlich, und nicht vorhersehbar. Die therapeutische Begleitung erfüllt dabei nicht den Zweck der Abklärung eventueller Unsicherheiten, sondern verlangt vielmehr eine "Beweisführung", die von der unabdingbaren Selbstreflexion ablenkt, ja geradezu ein (Wohl-) Verhalten evoziert, das versucht, der Erwartungshaltung des Therapeuten gerecht zu werden. Was gedenkt ihre Partei hier zu unternehmen, dass der Prozess der Transition für Betroffene berechenbar wird, und die therapeutische Begleitung tatsächlich den Zweck der Hilfestellung erfüllt?

    Seit Jahren fordern wir eine Abschaffung des veralteten Transsexuellengesetzes das nach über 30 Jahren nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht und die Menschenrechte von transsexuellen Personen mit Füßen tritt. Daher haben wir ein modernes Selbstbestimmungsgesetz vorgeschlagen, dessen Leitbild die persönliche Freiheit und nicht irgendwelche Ordnungsvorstellungen über die Geschlechter ist. Es ist höchste Zeit, dass die tatsächliche Vielfalt von Geschlechtern akzeptiert wird, anstatt transsexuelle Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und ihnen das Leben schwerzumachen.

    Wir wollen das Verfahren für die Änderung der Vornamen und Berichtigung des Geschlechtsein-trages deutlich vereinfachen und nur vom Geschlechtsempfinden des Antragstellers abhängig machen. Die Transsexualität kann nicht diagnostiziert werden, nur die Antrag stellende Person selbst kann letztlich über ihr Geschlecht Auskunft geben. Es wird zudem auf die Anrufung eines Gerichts verzichtet. Der Antrag ist bei den Standesämtern zu stellen, so dass die Berichtigung im Rahmen eines Verwaltungsaktes unbürokratisch erfolgen soll.

    Sobald die menschenunwürdige Begutachtungspraxis abgeschafft wird, kann die therapeutische Begleitung tatsächlich den Zweck der Hilfestellung erfüllen und der Prozess der Transition für Betroffene berechenbarer werden.

3. Nur der einzelne Mensch selbst ist in der Lage, über sein Geschlecht Auskunft zu erteilen. Wer von sich sagt, eine Frau bzw. ein Mann zu sein, bei gegengeschlechtlichen Körpermerkmalen, wer in seinem Geschlecht leben und anerkannt werden möchte, wer unter der fehlenden Übereinstimmung leidet, ein Unbehagen gegenüber seinen geschlechtlichen Merkmalen empfindet, und wer für sich die Entscheidung getroffen hat, seinen Körper seinem Geschlecht angleichen zu lassen, ist Transsexuell (NGS). Wenn die Diagnose "Transsexualität" einmalig gestellt bzw. maßgeblich aufgrund der Selbstaussage festgestellt wurde, sind die hierfür benötigten somatischen Maßnahmen ohne weitere Prüfung zu gewähren. Wie stellt sich Ihre Partei zu dieser Forderung?

    § 6 des grünen Selbstbestimmungsgesetzes sieht vor, dass Vorschriften, die unmittelbar oder mittelbar Auswirkungen auf den Zugang zu oder die Gewährung oder Durchführung von Ge-sundheitsleistungen zur Modifizierung des eigenen Körpers entsprechend des selbst bestimmten Geschlechts im Hinblick auf Erscheinung und körperliche Funktionen haben, so angewendet werden sollen, dass dem Selbstbestimmungsrecht der betreffenden Person Geltung verschafft wird. Diese Regelung soll Patient*innen als Leitlinie bei der Ausübung ihrer Patientenrechte dienen und zur Verhinderung von Diskriminierung beitragen.

    Der Vorschrift liegt der Befund des Europarats-Kommissars für Menschenrechte Hammarberg und des Gutachtens „Regelungs- und Reform-bedarf für transsexuelle/-geschlechtliche Men-schen“ (Adamietz/Bager im Auftrag des BMSFJ, 2017) zugrunde, dass ein Großteil der Diskriminierung von transsexuellen Menschen im Gesundheitssystem stattfindet. Dies reiche von einem diskriminierenden, abwertenden Umgang bei der Sachbearbeitung bis zur Interpretation von Begutachtungs- und Behandlungsleitlinien zum Nachteil der versicherten Personen.

4a. Welche weiteren Maßnahmen wird Ihre Partei für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung originär transsexueller Menschen (NGS) ergreifen? Sind Maßnahmen (Forschung, ärztliche Fortbildung) angedacht, um die Gewährleistung zentrale Bedürfnisse (Genitalangleichung und Hormonversorgung) weiter zu optimieren?

    Wir wollen, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität eine gleichermaßen gute Versorgung bekommen und individuelle Bedürfnisse berücksichtigt werden. Um spezifische Präventions- und Versorgungsbedarfe zu identifizieren, setzen wir uns für eine geschlechtssensible Gesundheitsberichterstattung ein. Wir fordern daher einen regelmäßigen Gender-Gesundheitsbericht. Er muss auch die Situation von LSBTI beleuchten. Dazu gehört, welche Zugangshürden (in der medizinischen Versorgung) für sie bestehen. Insbesondere mit Blick auf die Prävention sind soziale Einflussfak-toren von Gesundheit zu untersuchen. Auf dieser Basis können zielgruppenorientierte Präventionsangebote entwickelt und die Versorgungsqualität für alle verbessert werden.

    Darüber hinaus werden wir uns dafür einsetzen, dass die Gründe für vorhandene Diskriminierungen und Zugangshürden von transsexuellen Menschen auch durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen untersucht und entsprechende Konsequenzen gezogen werden. Ein zentraler Aspekt dürfte dabei die Information und Aufklärung von Ärzt*Innen und anderen Gesundheitsberufen sein.

4b. Was gedenkt Ihre Partei zu unternehmen, um bei betroffenen jungen Menschen die weitere körperliche Fehlentwicklung durch die falsche Pubertät zu verhindern?

    Das grüne Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht ab Vollendung des 14. Lebensjahres die Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen auch ohne Mitwirken der Eltern. Das Verfahren für Personen, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, sowie für geschäftsunfähige Personen bedarf der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertretung. Diese kann im Falle einer Weigerung gerichtlich ersetzt werden, wofür die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands bestimmt ist. Damit soll eine angemessene gesundheitliche Versorgung für junge Menschen auch zur Verhinderung körperlicher Fehlentwicklung gewährleistet werden.

5a. Welche Maßnahmen sind von Ihrer Partei angedacht, um die soziale und ökonomische Situation von originär transsexuellen Menschen (NGS) zu verbessern?

    Die soziale und ökonomische Situation von transsexuellen Menschen ist besonders schwierig und sie sind überproportional von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Neben unseren sozialpolitischen Forderungen setzen wir uns für eine Verbesserung des Schutzes von Diskriminierungsopfern ein und haben einen detaillierten Katalog zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgelegt. Nach der Gesetzesbegründung zum AGG soll die Geschlechtsidentität zusammen mit der sexuellen Orientierung von dem in § 1 AGG genannten Merkmal „sexuelle Identität“ umfasst sein. Da die Benachteiligungsverbote wegen des Geschlechts strenger sind als diejenige wegen sexueller Identität, bekommen die betroffenen Menschen derzeit einen schwächeren Schutz. Dem steht die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegenüber, nach welcher die Geschlechtsidentität vom Antidiskriminierungsmerkmal „Geschlecht“ umfasst ist. Deshalb fordern wir eine Klarstellung, wonach eine Benachteiligung wegen des Geschlechts Benachteiligungen wegen der Geschlechtsidentität oder des Geschlechtsausdrucks umfasst.

5b. Originär transsexuelle Menschen (NGS) verlangen nach ihrer Genitalangleichung in ihrem Geschlecht anerkannt zu werden ohne jeglichen genderqueeren Trans*Bezug.

Was gedenkt Ihre Partei zu unternehmen, um originär transsexuelle Menschen (NGS) vor der Verleumdung als Trans*Person zu bewahren?

    Die Fragen 5b. und 6. werden gemeinsam beantwortet:

    In der Gesellschaft und in den meisten Medien gibt es große Defizite in Bezug auf das Wissen über Transsexualität. Hier ist Aufklärung erforderlich. Deshalb fordern wir einen wirksamen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie. Dort muss in Zusammenwirken mit den Ländern der Bereich Bildung sowie Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen einen hohen Stellenwert haben. Wir setzen uns dafür ein, dass solcher Aktionsplan klar formulierte Ziele - darunter auch Selbstverpflichtungen der öffentlichen Stellen – enthält und finanziell langfristig abgesichert ist.

    Schule als ein zentraler Lebensort von Ju-gendlichen darf kein transphober Ort sein. Politik, aber auch Zivilgesellschaft, Jugendeinrichtungen wie auch die Schulen selbst müssen dazu beitragen. Schulbücher und andere Schulmedien müssen die gesellschaftliche Vielfalt widergeben und Lehrpläne um Themen wie die Vielfalt der Geschlechter und Lebensweisen, die Geschichte und Menschenrechtsbildung auch in Bezug auf transsexuelle Menschen erweitert werden. In den grün mitregierten Länder sind wir dabei es umzusetzen.

6. Was gedenkt Ihre Partei zu unternehmen, dass transsexuelle Menschen (NGS) multi-medial immer noch als variteewürdig-exotische "Geschlechtswechsler?' dargestellt werden, ohne angemessene Aufklärung über die tatsächliche Phänomenlage, insbesondere auch hinsichtlich der erforderlichen Abgrenzung zu phänotypisch von außen betrachtet "ähnlichen" Erscheinungsformen, wie Transgender, transidenten und sonstigen Trans*-Menschen?

    Die Fragen 5b. und 6. werden gemeinsam beantwortet – s.o.

7. Was gedenkt Ihre Partei dagegen zu unternehmen um auch die Rechte der Menschen ohne Trans*Hintergrund zu sichern? Wie verhält es sich beispielsweise bei (demonstrativer) Sichtbarkeit von männlichen Genitalien in speziellen Schutzbereichen wie z.B. Damenduschen oder Damensaunen? Wie sieht es in Zukunft hinsichtlich geschlechtergetrennter Bereiche aus; muss es eine Frau zum Beispiel hinnehmen, mit einer Person gleichen rechtlichen Geschlechts aber gegengeschlechtlichen Genitalien den Rest ihres Lebens das selbe Zimmer/Bad im Alten-, Pflegeheim oder ähnlichen Einrichtungen teilen zu müssen?

    Selbstbestimmung muss für alle gewährleistet werden. Das betrifft sowohl transsexuelle Menschen wie diejenige ohne Trans*Hintergrund. Daher sollen Wünsche und Bedürfnisse von aller im Einklang gebracht werden, da nur so ein gutes Zusammenleben möglich ist.

8. Wie gedenkt ihre Partei sicherzustellen, dass in Zukunft die Bedingungen für die Kostenübernahme durch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer besser, d.h. klar und eindeutig, geregelt werden, und behandlungsbedürftige transsexuelle Menschen (NGS) von der derzeitigen Bewilligungs-Willkür befreit werden, und ihnen ein Recht auf Behandlung zusteht?

    siehe Antworten auf die Fragen 3 und 4a.

9. Originär transsexuelle Menschen (NGS) fordern die Anerkennung ihres Geschlechts, und dies beinhaltet auch die Unterlassung der für sie vollkommen falschen, geschlechtsver-weigernden Aussage einer "Geschlechtsidentitäts-Problematik", und statt dessen die Einstufung im ICD 11 unter der Rubrik "angeborene körperliche Abweichungen".

Wie stellt sich Ihre Partei zu diesen Forderungen, und was gedenkt sie zu unternehmen, um sie zu erfüllen?

    Wir setzen uns seit Jahren gegen die Psychopathologisierung der Transsexualität, z.B. durch das Hinwirken auf die Entpsychopathologisierung und Entstigmatisierung in der ICD-11 Überarbeitung oder durch eine daraufhin ausgerichtete Arbeit in der Kommission der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Überarbeitung der medizinischen Leitlinien für Erwachsene bzw. Kinder und Jugendliche. Immer wieder haben wir öffentlich auf den Reformbedarf des Diagnosenkatalogs der Weltgesundheitsorganisation hingewiesen. Unsere parlamentarischen Initiativen sind zudem von dem Grundsatz geprägt, dass nur ein Mensch selbst letztlich über das eigene Geschlecht Auskunft geben kann. Unwissenschaftliche Diagnosen, bestimmte „Krankheitsbeschreibungen“ sowie enge, zweigeschlechtlich definierte Begutachtungs- und Behandlungsstandards gehören abgeschafft.

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